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gepostet am 05.12.2019

Bauer Grotesk 2.0

Neue Zeichen, neue Sprachen, neue Features!
Ziemlich genau fünf Jahre nach dem furiosen ersten Auftritt der Bauer Grotesk haben wir die Schrift­familie umfassend erweitert. Sie unterstützt jetzt auch Griechisch, Kyrillisch und Vietnamesisch.

Wer wissen will, warum wir das gemacht haben und was dafür nötig war, sollte weiter­lesen – und am besten vorher noch einen Kaffee machen.

Bauer Grotesk 2.0, allerzeiten – Friedrich Bauer Grotesk

Die Friedrich Bauer Grotesk – also die Bleisatzschrift, auf der die Bauer Grotesk basiert – hatte einen recht begrenzten Zeichen­satz. Nicht untypisch für die 1930er Jahre, in der die Schrift entstand. So waren wir schon von Beginn an mit der Heraus­forderung kon­fron­tiert, neue Zeichen im Stil der alten zu gestalten. Einige davon konnten wir dem Design der Hamburger Grotesk (später Genzsch Grotesk) anpassen, die quasi eine Weiter­entwicklung der Friedrich Bauer Grotesk darstellte, auch wenn sie nicht an deren Qualität heran­kommt.

Bauer Grotesk 2.0, allerzeiten – Hamburger Grotesk

Hamburger Grotesk Schriftmusterheft (Quelle: Museum der Arbeit, Hamburg)

Die Firma Genzsch & Heyse hatte die Friedrich Bauer Grotesk 1946, nach dem Krieg, von der Firma J.D. Trennert und Sohn über­nommen und unter neuem Namen weiter­entwickelt. Aus dieser Schrift stammen z.B. die Formen für das zwei­geschossige a oder das M mit geraden Schenkeln.

Auch die Art der Kursive ist an die der Hamburger Grotesk angelehnt. Die Friedrich Bauer Grotesk selbst wurde nie mit einer Kursive angeboten.

Bauer Grotesk 2.0, allerzeiten – Hamburger Grotesk

Hamburger Grotesk Alternativformen

Bauer Grotesk 2.0, allerzeiten – Friedrich Bauer Grotesk

Viele andere Zeichen, wie die Smallcaps, Währungs­zeichen, Ziffern­varianten, Pfeile usw. mussten wir neu zeichnen und zwar möglichst so, dass sie zum Stil der anderen Zeichen passten. Keine ganz leichte Auf­gabe und vorerst reichte uns das auch voll­kommen aus, denn der Zeichen­satz war mit über 1300 Glyphen schon beacht­lich angewachsen.

Bauer Grotesk 2.0, allerzeiten

Unsere Selbst­beherrschung reichte bis Ende 2015 und einer Folge von „The Americans“. Überwältigt von den omni­prä­sen­­ten kyril­lischen Buch­staben, schlich sich langsam dieser Gedanke ein: „Würde die Bauer nicht auch gut in Kyril­lisch aussehen?“. Die Frage beant­wortete sich von selbst. Denn eigentlich war uns auch vorher schon klar, dass sich Geo­metrische Gro­tesk Schriften und Kyril­lisch hervor­ragend vertragen.

Down the Rabbit Hole

Nach etwas Recherche waren wir end­gültig über­zeugt von der Idee und machten uns an die Arbeit. Bis wir nach kurzer Zeit fest­stell­ten, dass das eigent­liche Ziel einer Erwei­terung ein Pan­europä­ischer Aus­bau sein müsste. Somit erschien auch noch Griechisch auf unserer To-Do-Liste. Und zwar so lange bis wir bei FontShop anfrag­ten, was sie von der Idee hielten. Zurück kam: „Gute Idee! Aber wollt ihr nicht auch noch Viet­name­sisch mit­machen?“ Und schon war unsere Liste um einen weiteren, nicht unerheb­lichen Ein­trag reicher.

Wollt ihr nicht auch noch Vietnamesisch mitmachen?

Wir wussten, dass wir uns intensiv mit den For­men und Spra­­chen auseinander­setzen mussten, bevor wir ernst­haft anfangen konnten, Buch­staben zu zeich­nen. Glück­licher­weise konn­ten wir uns hier auch auf die Exper­tise des renno­mierten Type­designers Jovica Veljović verlassen, der uns immer wieder wert­volles Feed­back gab.

Vietnamesisch

Während wir tiefer und tiefer in die Welt von Kyril­lischen und Grie­chischen Buch­staben vor­drangen, begannen wir zunächst mit dem Viet­name­sischen Aus­bau. Da es sich hier nur um neue Akzente für beste­hende latei­nische Buch­staben handelt, bewegten wir uns zumin­dest weitest­gehend auf bekann­tem Terrain. Dennoch war es eine inter­essante und heraus­fordernde Auf­gabe, alle neuen Akzente mit­einander zu harmo­nisieren und in das Sys­tem der rest­lichen Akzente ein­zu­passen. Die Doppel­akzente stellten natür­lich das größte Pro­blem dar, da ins­beson­dere ihre Höhe nicht zu hoch werden darf, aber die ein­zel­nen Teile auch nicht zu klein. Nach reich­lichem Testen und Opti­mieren bekamen wir ein schönes neues Akzent-Set und waren um die Erkennt­nis reicher, dass viet­name­sische Akzente wahr­schein­lich die coolsten von allen sind.

Bauer Grotesk 2.0, allerzeiten

Kyrillisch

Je länger wir uns mit den Kyril­lischen Zeichen beschäf­tigten, desto mehr begannen wir sie zu lieben. Auf den ersten Blick erscheint Kyril­lisch – gerade in serifen­losen Schriften – immer sehr block­artig und grob­schlächtig, mit den vielen Verti­kalen und nur sehr wenigen Ober- und Unterlängen. Aber wenn man beginnt diese Sprachen zu lesen, weicht dieser erste Ein­druck einer uner­war­teten, rauen Wärme. Zumin­dest ging es uns so. Und das machte es natürlich umso schöner, an diesen Buch­staben zu arbeiten.

Wir wollten hier den Sweetspot zwischen möglichst vielen Nutzern und einer überschaubaren Zeichenzahl erreichen

Aber erstmal musste der Zeichen­umfang geklärt werden, da Kyril­lisch ja nicht nur Russisch bein­haltet, sondern noch diverse weitere Sprachen. Wir wollten hier den Sweetspot zwischen mög­lichst vielen Nutzern und einer über­schau­baren Zeichen­zahl erreichen. Am Ende kamen wir auf 90 Buch­staben, fast doppelt so viel wie der Basis­satz vor­sieht. Dadurch werden 51 Sprachen abgedeckt.

Bauer Grotesk 2.0, allerzeiten

x-Height of Evil

Die niedrige x-Höhe, ins­beson­dere in den hellen Schnitten, war im Kyril­lischen nicht gerade unser Freund. Buch­staben wie be oder ef haben uns dadurch beson­ders heraus­gefor­dert. Beim be war es schwierig, den großen Raum oberhalb der x-Höhe zu füllen, ohne den Buch­staben unbalan­ciert wirken zu lassen oder wie eine 6. Bei anderen Schriften liegt hier das Pro­blem eher darin, dass dieser Weiß­raum zu klein wird, wenn man den unteren Teil nicht kürzt. Aber die Bauer ist halt auch nicht wie andere Schriften… Die Ober­länge des ef mussten wir kürzen, um kein zu großes Ungleich­gewicht gegenüber der Unter­länge zu erzeugen.

Bauer Grotesk 2.0, allerzeiten

Finale Version der Buchstaben ef und be in Light und Bold

Kyrillische Kursive

In vielen Schrif­ten verändern einige kyril­lische Zeichen in der Kur­sive ihre Form. Die Kon­struk­tion basiert dann mehr auf der Schreib­schrift­form und wirkt natür­licher. Für die Bauer muss­ten wir hier abwägen, ob wir diesen Weg ein­schlagen wollen. Wir ent­schieden uns dagegen und hielten uns an die Art der Latei­nischen Kur­sive, die auch in der histo­rischen Vor­lage als Oblique angelegt wurde – hier werden also keine Form­änderungen vor­genommen, wie es z.B. beim a, e oder g sonst verbreitet getan wird. Uns erschien das besser zum Ori­ginal zu passen und das sollte, unserer Mei­nung nach, bei einem Revival immer eine der wichtig­sten Ent­scheidungs­grund­lagen sein.

Bauer Grotesk 2.0, allerzeiten

Oblique Konstruktion der Kursive in Lateinischen und Kyrillischen Buchstaben

Lokalisierung

Bulgarien, Serbien und Maze­donien nutzen zwar das russische Alpha­bet, aber in eini­gen Zei­chen weichen die For­men, ins­beson­dere im Bul­ga­rischen, stark ab. Diese lokal gepräg­ten Form­varian­ten sollten natürlich auch in der Bauer Grotesk nicht fehlen.

Bauer Grotesk 2.0, allerzeiten

Alternativen

Für das kyrillische Te haben wir ein eigenes Stylistic Set angelegt. Gerade in einer Geome­trischen Gro­tesk funktio­niert diese Ver­sion hervor­ra­gend und macht die Aus­strah­lung der Schrift direkt noch ein biss­chen blockiger und kon­stru­ierter. Wenn man das noch weiter forcieren will, sollte man das Titling Feature nutzen und damit De/de und El/el in die geo­me­trischen Varian­ten umschalten.

Bauer Grotesk 2.0, allerzeiten

Kyrillische Alternativbuchstaben Titling Feature und Stylistic Set 12

Griechisch

Die meisten griechischen Ver­salien teilen sich ihre Form mit den latei­nischen. Spannend wirds eher bei den Minus­keln. Die erste Heraus­for­derung bei den grie­chischen Lettern war, zu ent­schei­den, wie geo­metrisch sie werden konnten, ohne abstrakt zu werden. Auch hier such­ten wir die Lösung erstmal im Origi­nal. Die Bauer ist in eini­gen Buch­staben, wie z.B. dem o oder n, eher huma­nistisch, also nicht so radikal geo­metrisch. Andere Buch­staben wie das t sind wie­derum sehr streng. Ins­gesamt findet sich in der Schrift ein inte­res­santes Spannungs­feld zwischen dyna­misch und statisch/konstruiert. Das haben wir auch im ersten Release bereits ver­sucht heraus­zu­arbei­ten. In der Default Ver­sion ist die Schrift eher geo­metrisch gehal­ten, aber mit Stylistic Set 3 kann man in den Opentype Features die huma­nis­tische Seite der Schrift betonen.

Die erste Herausforderung bei den griechischen Lettern war, zu entscheiden, wie geometrisch sie werden konnten, ohne abstrakt zu werden

Soweit so gut, aber was bedeu­tet das konkret für das grie­chische Alpha­bet? Um das endgültig zu ent­schei­den, mussten wir noch etwas tiefer in grie­chischen Drucken recher­chieren und geo­me­trische Schriften aus den 1930er/40er Jahren unter die Lupe nehmen.

Bauer Grotesk 2.0, allerzeiten

Recherchematerial

Erstes Beispiel: pi.

2 Varianten dominierten die his­to­rischen Schrif­ten. Die sehr redu­zierte Recht­eck Ver­sion und die etwas kla­rere Ver­sion mit der betonten Waage­rechten. Die zweite Variante kam deutlich häu­figer vor und das wahr­schein­lich auch zurecht. Aber hier haben wir uns für die redu­zierte Vari­ante ent­schie­den. Diese Kon­struk­tion fühlte sich mehr nach Bauer an. Ähnlich wie das t, ist es nicht die lesbarste Version, hilft aber die Spannung aus Geo­metrie und Dyna­mik aufrecht­zu­halten.

Im Stylistic Set 3 kann man aber das pi und einige weitere Zei­chen auf eine dyna­mischere Ver­sion umschal­ten, wenn man möchte.

Bauer Grotesk 2.0, allerzeiten

Stylistic Set 3 Effekt der dynamischeren Alternativbuchstaben

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Zweites Beispiel: delta.

Der Abschluss oben kann gerade oder rund sein. Beides kommt in den histo­rischen Quel­len vor. Wir haben uns hier, anders als beim pi für die wei­chere, runde Form ent­schie­den. Die Schrift sollte zwar über­wie­gend geo­me­trisch geprägt sein, aber dabei nicht zu hart werden. Wir hatten das Gefühl, dass das mit dem waage­rechten Abschluss passiert wäre. Außer­dem vertrug sich die runde Variante besser mit der geringen x-Höhe.

beta, gamma und theta

In den histo­rischen Quel­len tauchen sehr häufig For­men für beta, gamma und theta auf, die heute eher nicht mehr ver­wen­det werden, ins­beson­dere nicht in Geo­metrischen Grotesk Schriften. Wir mochten diese Formen, aber in der Default Ver­sion währen diese Zei­chen zu fremd für heu­tige Seh­gewohn­heiten gewesen – Stylistic Set 14 to the rescue.

Bauer Grotesk 2.0, allerzeiten

Stylistic Set 14 Alternativen für beta, gamma und theta

Stylistic Set 12 M, Em und Mu

Neues M

Auch das Lateinische Sprach­sys­tem sollte nicht leer aus­gehen. Nach­dem wir häufig darauf ange­sprochen wurden, ob wir nicht auch ein M mit gerade Schen­keln anbie­ten können, haben wir das in die­sem Release gleich mit­ge­liefert. Vorteil dabei: Die Form des M gibt es auch in Kyril­lisch (Em und em) und Grie­chisch (Mu). One M to rule them all sozu­sagen. Zu fin­den ist das alter­native M in Stylistic Set 12.

Zuletzt füg­ten wir noch die benö­tigten Währungs­zeichen für die neuen Spra­chen hinzu, bevor wir uns ans Ker­ning machten. Das nahm nochmal eine gehö­rige Zeit in Anspruch, da der Zeichen­satz rund 2400 Zei­chen betrug, sich also fast verdop­pelt hatte.

Bauer Grotesk 2.0, allerzeiten

Testdrucke Kerning, Kerning, Kerning

Am Ende stand die Freude darü­ber, dass wir nicht nur eine Schrift ins 21. Jahr­hun­dert geret­tet hatten, sondern auch dafür sorgen konn­ten, dass sie jetzt bedeu­tend mehr Men­schen zur Verfü­gung steht als je zuvor. Als Bonus haben wir unglaub­lich viel dabei gelernt – neben den neuen Sprach­syste­men übri­gens auch eine ganze Reihe an Voka­beln, denn ohne die Schrift lesen zu können, ist es schwer, sie zu gestalten.

Wir freuen uns sehr darauf, die neue Bauer Grotesk im Einsatz zu sehen.