Bauer Grotesk 2.0
Neue Zeichen, neue Sprachen, neue Features!
Ziemlich genau fünf Jahre nach dem furiosen ersten Auftritt der Bauer Grotesk haben wir die Schriftfamilie umfassend erweitert. Sie unterstützt jetzt auch Griechisch, Kyrillisch und Vietnamesisch.
Wer wissen will, warum wir das gemacht haben und was dafür nötig war, sollte weiterlesen – und am besten vorher noch einen Kaffee machen.
Die Friedrich Bauer Grotesk – also die Bleisatzschrift, auf der die Bauer Grotesk basiert – hatte einen recht begrenzten Zeichensatz. Nicht untypisch für die 1930er Jahre, in der die Schrift entstand. So waren wir schon von Beginn an mit der Herausforderung konfrontiert, neue Zeichen im Stil der alten zu gestalten. Einige davon konnten wir dem Design der Hamburger Grotesk (später Genzsch Grotesk) anpassen, die quasi eine Weiterentwicklung der Friedrich Bauer Grotesk darstellte, auch wenn sie nicht an deren Qualität herankommt.
Die Firma Genzsch & Heyse hatte die Friedrich Bauer Grotesk 1946, nach dem Krieg, von der Firma J.D. Trennert und Sohn übernommen und unter neuem Namen weiterentwickelt. Aus dieser Schrift stammen z.B. die Formen für das zweigeschossige a oder das M mit geraden Schenkeln.
Auch die Art der Kursive ist an die der Hamburger Grotesk angelehnt. Die Friedrich Bauer Grotesk selbst wurde nie mit einer Kursive angeboten.
Viele andere Zeichen, wie die Smallcaps, Währungszeichen, Ziffernvarianten, Pfeile usw. mussten wir neu zeichnen und zwar möglichst so, dass sie zum Stil der anderen Zeichen passten. Keine ganz leichte Aufgabe und vorerst reichte uns das auch vollkommen aus, denn der Zeichensatz war mit über 1300 Glyphen schon beachtlich angewachsen.
Unsere Selbstbeherrschung reichte bis Ende 2015 und einer Folge von „The Americans“. Überwältigt von den omnipräsenten kyrillischen Buchstaben, schlich sich langsam dieser Gedanke ein: „Würde die Bauer nicht auch gut in Kyrillisch aussehen?“. Die Frage beantwortete sich von selbst. Denn eigentlich war uns auch vorher schon klar, dass sich Geometrische Grotesk Schriften und Kyrillisch hervorragend vertragen.
Down the Rabbit Hole
Nach etwas Recherche waren wir endgültig überzeugt von der Idee und machten uns an die Arbeit. Bis wir nach kurzer Zeit feststellten, dass das eigentliche Ziel einer Erweiterung ein Paneuropäischer Ausbau sein müsste. Somit erschien auch noch Griechisch auf unserer To-Do-Liste. Und zwar so lange bis wir bei FontShop anfragten, was sie von der Idee hielten. Zurück kam: „Gute Idee! Aber wollt ihr nicht auch noch Vietnamesisch mitmachen?“ Und schon war unsere Liste um einen weiteren, nicht unerheblichen Eintrag reicher.
Wollt ihr nicht auch noch Vietnamesisch mitmachen?
Wir wussten, dass wir uns intensiv mit den Formen und Sprachen auseinandersetzen mussten, bevor wir ernsthaft anfangen konnten, Buchstaben zu zeichnen. Glücklicherweise konnten wir uns hier auch auf die Expertise des rennomierten Typedesigners Jovica Veljović verlassen, der uns immer wieder wertvolles Feedback gab.
Vietnamesisch
Während wir tiefer und tiefer in die Welt von Kyrillischen und Griechischen Buchstaben vordrangen, begannen wir zunächst mit dem Vietnamesischen Ausbau. Da es sich hier nur um neue Akzente für bestehende lateinische Buchstaben handelt, bewegten wir uns zumindest weitestgehend auf bekanntem Terrain. Dennoch war es eine interessante und herausfordernde Aufgabe, alle neuen Akzente miteinander zu harmonisieren und in das System der restlichen Akzente einzupassen. Die Doppelakzente stellten natürlich das größte Problem dar, da insbesondere ihre Höhe nicht zu hoch werden darf, aber die einzelnen Teile auch nicht zu klein. Nach reichlichem Testen und Optimieren bekamen wir ein schönes neues Akzent-Set und waren um die Erkenntnis reicher, dass vietnamesische Akzente wahrscheinlich die coolsten von allen sind.
Kyrillisch
Je länger wir uns mit den Kyrillischen Zeichen beschäftigten, desto mehr begannen wir sie zu lieben. Auf den ersten Blick erscheint Kyrillisch – gerade in serifenlosen Schriften – immer sehr blockartig und grobschlächtig, mit den vielen Vertikalen und nur sehr wenigen Ober- und Unterlängen. Aber wenn man beginnt diese Sprachen zu lesen, weicht dieser erste Eindruck einer unerwarteten, rauen Wärme. Zumindest ging es uns so. Und das machte es natürlich umso schöner, an diesen Buchstaben zu arbeiten.
Wir wollten hier den Sweetspot zwischen möglichst vielen Nutzern und einer überschaubaren Zeichenzahl erreichen
Aber erstmal musste der Zeichenumfang geklärt werden, da Kyrillisch ja nicht nur Russisch beinhaltet, sondern noch diverse weitere Sprachen. Wir wollten hier den Sweetspot zwischen möglichst vielen Nutzern und einer überschaubaren Zeichenzahl erreichen. Am Ende kamen wir auf 90 Buchstaben, fast doppelt so viel wie der Basissatz vorsieht. Dadurch werden 51 Sprachen abgedeckt.
x-Height of Evil
Die niedrige x-Höhe, insbesondere in den hellen Schnitten, war im Kyrillischen nicht gerade unser Freund. Buchstaben wie be oder ef haben uns dadurch besonders herausgefordert. Beim be war es schwierig, den großen Raum oberhalb der x-Höhe zu füllen, ohne den Buchstaben unbalanciert wirken zu lassen oder wie eine 6. Bei anderen Schriften liegt hier das Problem eher darin, dass dieser Weißraum zu klein wird, wenn man den unteren Teil nicht kürzt. Aber die Bauer ist halt auch nicht wie andere Schriften… Die Oberlänge des ef mussten wir kürzen, um kein zu großes Ungleichgewicht gegenüber der Unterlänge zu erzeugen.
Kyrillische Kursive
In vielen Schriften verändern einige kyrillische Zeichen in der Kursive ihre Form. Die Konstruktion basiert dann mehr auf der Schreibschriftform und wirkt natürlicher. Für die Bauer mussten wir hier abwägen, ob wir diesen Weg einschlagen wollen. Wir entschieden uns dagegen und hielten uns an die Art der Lateinischen Kursive, die auch in der historischen Vorlage als Oblique angelegt wurde – hier werden also keine Formänderungen vorgenommen, wie es z.B. beim a, e oder g sonst verbreitet getan wird. Uns erschien das besser zum Original zu passen und das sollte, unserer Meinung nach, bei einem Revival immer eine der wichtigsten Entscheidungsgrundlagen sein.
Lokalisierung
Bulgarien, Serbien und Mazedonien nutzen zwar das russische Alphabet, aber in einigen Zeichen weichen die Formen, insbesondere im Bulgarischen, stark ab. Diese lokal geprägten Formvarianten sollten natürlich auch in der Bauer Grotesk nicht fehlen.
Alternativen
Für das kyrillische Te haben wir ein eigenes Stylistic Set angelegt. Gerade in einer Geometrischen Grotesk funktioniert diese Version hervorragend und macht die Ausstrahlung der Schrift direkt noch ein bisschen blockiger und konstruierter. Wenn man das noch weiter forcieren will, sollte man das Titling Feature nutzen und damit De/de und El/el in die geometrischen Varianten umschalten.
Griechisch
Die meisten griechischen Versalien teilen sich ihre Form mit den lateinischen. Spannend wirds eher bei den Minuskeln. Die erste Herausforderung bei den griechischen Lettern war, zu entscheiden, wie geometrisch sie werden konnten, ohne abstrakt zu werden. Auch hier suchten wir die Lösung erstmal im Original. Die Bauer ist in einigen Buchstaben, wie z.B. dem o oder n, eher humanistisch, also nicht so radikal geometrisch. Andere Buchstaben wie das t sind wiederum sehr streng. Insgesamt findet sich in der Schrift ein interessantes Spannungsfeld zwischen dynamisch und statisch/konstruiert. Das haben wir auch im ersten Release bereits versucht herauszuarbeiten. In der Default Version ist die Schrift eher geometrisch gehalten, aber mit Stylistic Set 3 kann man in den Opentype Features die humanistische Seite der Schrift betonen.
Die erste Herausforderung bei den griechischen Lettern war, zu entscheiden, wie geometrisch sie werden konnten, ohne abstrakt zu werden
Soweit so gut, aber was bedeutet das konkret für das griechische Alphabet? Um das endgültig zu entscheiden, mussten wir noch etwas tiefer in griechischen Drucken recherchieren und geometrische Schriften aus den 1930er/40er Jahren unter die Lupe nehmen.
Erstes Beispiel: pi.
2 Varianten dominierten die historischen Schriften. Die sehr reduzierte Rechteck Version und die etwas klarere Version mit der betonten Waagerechten. Die zweite Variante kam deutlich häufiger vor und das wahrscheinlich auch zurecht. Aber hier haben wir uns für die reduzierte Variante entschieden. Diese Konstruktion fühlte sich mehr nach Bauer an. Ähnlich wie das t, ist es nicht die lesbarste Version, hilft aber die Spannung aus Geometrie und Dynamik aufrechtzuhalten.
Im Stylistic Set 3 kann man aber das pi und einige weitere Zeichen auf eine dynamischere Version umschalten, wenn man möchte.
Zweites Beispiel: delta.
Der Abschluss oben kann gerade oder rund sein. Beides kommt in den historischen Quellen vor. Wir haben uns hier, anders als beim pi für die weichere, runde Form entschieden. Die Schrift sollte zwar überwiegend geometrisch geprägt sein, aber dabei nicht zu hart werden. Wir hatten das Gefühl, dass das mit dem waagerechten Abschluss passiert wäre. Außerdem vertrug sich die runde Variante besser mit der geringen x-Höhe.
beta, gamma und theta
In den historischen Quellen tauchen sehr häufig Formen für beta, gamma und theta auf, die heute eher nicht mehr verwendet werden, insbesondere nicht in Geometrischen Grotesk Schriften. Wir mochten diese Formen, aber in der Default Version währen diese Zeichen zu fremd für heutige Sehgewohnheiten gewesen – Stylistic Set 14 to the rescue.
Neues M
Auch das Lateinische Sprachsystem sollte nicht leer ausgehen. Nachdem wir häufig darauf angesprochen wurden, ob wir nicht auch ein M mit gerade Schenkeln anbieten können, haben wir das in diesem Release gleich mitgeliefert. Vorteil dabei: Die Form des M gibt es auch in Kyrillisch (Em und em) und Griechisch (Mu). One M to rule them all sozusagen. Zu finden ist das alternative M in Stylistic Set 12.
Zuletzt fügten wir noch die benötigten Währungszeichen für die neuen Sprachen hinzu, bevor wir uns ans Kerning machten. Das nahm nochmal eine gehörige Zeit in Anspruch, da der Zeichensatz rund 2400 Zeichen betrug, sich also fast verdoppelt hatte.
Am Ende stand die Freude darüber, dass wir nicht nur eine Schrift ins 21. Jahrhundert gerettet hatten, sondern auch dafür sorgen konnten, dass sie jetzt bedeutend mehr Menschen zur Verfügung steht als je zuvor. Als Bonus haben wir unglaublich viel dabei gelernt – neben den neuen Sprachsystemen übrigens auch eine ganze Reihe an Vokabeln, denn ohne die Schrift lesen zu können, ist es schwer, sie zu gestalten.
Wir freuen uns sehr darauf, die neue Bauer Grotesk im Einsatz zu sehen.